Urbanes Gärtnern (engl. Urban Gardening) verweist auf jegliche Formen von Aktivitäten und Tätigkeiten im städtischen und gärtnerischen Kontext, ist aber nicht nur auf das „Gärtnern“ selbst beschränkt. Dabei können verschiedene Aspekte betrachtet werden: Urban Gardening Projekte, Vorhaben und Initiativen sind sowohl für das soziale und integrierende Zusammenleben wie auch für Wohlbefinden, Gesundheit und Bildung von Relevanz, weil Gärten Aufenthaltsräume schaffen und Austausch zwischen den BewohnerInnen ermöglichen. Ebenso sind sie ein wichtiger Bestandteil einer ökoligischen und nachhaltigen Entwicklung einer Stadt.
Einordnung und Begriffsbestimmung
Urbanes Gärtnern erlebt eine Renaissance. Lebensmittel wurden in Städten schon immer kultiviert. Seit dem 17. und 18.Jahrhundert hatte Gärtnern wieder große Bedeutung in Städten, als Menschen, die früher landwirtschaftlich tätig waren, mehr oder weniger dazu gezwungen worden, in Städte zu ziehen, um dort unter desaströsen Bedingungen zu arbeiten, damit sie (wirtschaftlich) überleben konnten. Mit den ersten sozialen Bewegungen (z.B. der ArbeiterInnen-Bewegung) wurden Gartenanlagen zur Lebensmittelproduktion geschaffen, die unter dem Namen Schrebergarten bekannt wurden und heute noch – wenn auch für andere Zwecke – in Form von Kleingartenanlagen bestehen. Gerade in der Zwischenkriegszeit spielten sie aber eine große Rolle, wenn es um die Ernährungsversorgungssicherheit ging. Jedoch verloren sie mit Aufkommen der Supermärkte und der industriellen Landwirtschaft ihre Bedeutung. Auch die Städte selbst bekamen durch das Leitbild der autogerechten Stadt ein komplett anderes Aussehen. In den 1970ern setzte sich langsam Widerstand gegen die funktionale Top-Down Planung der Städte durch, die jegliche Form von Urbanität und sozialen Leben im öffentlichen Raum unmöglich machte. Seither wurden zunehmend Partizipationsverfahren eingeführt, die der Bevölkerung mehr Mitsprache erlaubt. Ausgehend von der Community Garden Bewegung in New York (USA) und der Ökobewegung in Europa bekam auch das Thema städtisches Grün größere Bedeutung. Die jüngste Bewegung hier ist mit dem Urbanen Gärtnern verbunden. Neben dem Guerilla Gardening sind vor allem Gemeinschaftsgärten Ausdruck dieser Veränderung.
Urbanes Gärtnern unterscheidet sich vor allem von der urbanen Landwirtschaft hauptsächlich darin, dass Gärtnern primär psychologische bzw. soziale Bedürfnisse erfüllt, während die Landwirtschaft ihren Schwerpunkt auf den Faktor Produktion von Lebensmitteln setzt. Ein weiterer Unterscheidungspunkt kann durchaus anhand der Standorte bzw. der Flächengröße getroffen werden. In Gärten werden (nicht nur, aber durchaus) Lebensmittel produziert. Ob und wie stark sie den Selbstversorgungsgrad erhöhen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, z.B. Art der Bewirtschaftung, Zielsetzung und Organisation des Gärtnerns, ökologische bzw. (mikro-)klimatische Rahmenbedingungen.
Urbanes Gärtnern kann in verschiedenen Formen existieren (bzw. darauf verweisen):
- Haus-, Hinterhof-, Campus-, Nachbarschafts-, Gemeinschafts-, Schrebergärten in all ihren Facetten, ebenso Balkon-, Dach-, Fassaden-, Fenstergärten
- diese können auch als mobile bzw. nomadische Gärten, die keinen fixen Standort haben, existieren
- oder als fahrende Gärten konzipiert sein, v.a. zur Veranschaulichung: z.B. befüllte Einkaufswägen oder Lastenfahrräder
- aber auch Projekte, welche sich nicht als „Garten“ verstehen: Baumscheibenbepflanzungen und Beete im öffentlichen Raum oder Guerilla Gardeninig
- Stadtimkerei
- essbare Pflanzen / Bäume / Sträucher (Fallobst, Kräuter, …) in der Stadt (z.B. betreut durch städtische Behörden oder von der Bevölkerung selbst) – häufig Edible City oder Essbare Stadt / Gemeinde genannt.
Warum Gärtnern in der Stadt?
Den Gründen, gärtnerisch in der Stadt aktiv zu werden, liegen verschiedene Motive zugrunde. Ein strukturelles Manko in Städten ist die geringe Verfügbarkeit von aneigenbaren (nutzbaren und veränderbaren) Grünflächen innerhalb des Stadtgebietes. Jene, die es sich im suburbanen Raum am Standrand leisten können, haben durch den eigenen Garten Zugang zu Grünflächen, nutzen ihn aber kaum. Nicht jeder kann es sich leisten, eigene Grünflächen zu haben – abgesehen von Problemen die aus der Besiedelung des Stadtrandes resultieren. Weitere potentielle Grünflächen sind Innenhöfe (wenn sie nicht versiegelt sind) oder Parkanlagen. In Innenhöfen wird aber die gärtnerische Nutzung untersagt bzw. trifft häufig auf großen Widerstand bei NachbarInnen. In Parkanlagen begründet sich die Ablehnung seitens der GrundstückseigentümerInnen (häufig die Kommune) durch Privatisierungsängste und bestehende Ansichten, die gärtnerische Nutzung in Parkanlagen nicht vorsehen. Und auch der Platz in Kleingartenanlagen ist begrenzt.
Dieser Mangel führt zu zwei Hauptformen des urbanen Gärtnerns: dem Guerilla Gardening (als „Kleinkrieg“ gegen die graue, autogerechte Stadt und mangelnden Möglichkeiten, das eigene Lebensumfeld mitzugestalten) und Gemeinschaftsgärten (oft in der Form von Nachbarschaftsgärten – der Zusammenschluss hat zwei Vorteile: 1. gemeinsame Tun erleichtert die Bewirtschaftung; 2. optimale Nutzung des gering verfügbaren Flächen).
Die individuellen Motive wiederum sind sehr vielseitig: Erholung, körperliche Betätigung, Lebensmittelanbau, Verantwortung, Gestalten & Ausprobieren, sich bilden, soziale Bedürfnisse, politische Motivation etc.
Weitere Aspekte
- Kommunikation
Gärten – auch wenn man es nicht glaubt – kommunizieren. Da sie letztlich das Produkt menschlichen Schaffens sind, das zudem voll von ästhetische Ansprüchen ist, kann über sie vieles über die GärtnerInnen in Erfahrung gebracht werden, z.B. wuchert ein Garten und beinhaltet Wildnis, oder ist dieser sehr gepflegt?! Die gärtnerische Gestaltung passiert dabei bewusst oder unbewusst und die Zur-Schaustellung des eigenen Schaffens kann gewollt sein (z.B. Schaugärten, oder der eigene Garten in expornierter Lage) oder ungewollt (z.B. hohe Hecke / Hinterhof) – was durchaus zu nachbarschaftlichen Konflikten führen kann.
- Politik
Eine besondere Form des Gärtnerns ist das politische Gärtnern. Es lebt von der Kommunikation politischer Inhalte verbunden mit gärtnerischer Aktivität dabei meint politisch, eine gewisse Haltung zum Ausdruck zu bringen. Dies kann z.B. der Beitrag zur Ernährungssouveränität, der Erhalt alter Sorten, biologische Bewirtschaftung, usw. sein. Ein häufig vorkommener Zwist, vor allem bei Gemeinschaftsgärten, entsteht, wenn es um ihren Verbleib geht. Häufig sind Gemeinschaftsgärten als Zwischennutzung gerne gesehen, müssen aber bei geplanten Bauprojekten weichen. Der Protest entsteht in solchen Fällen aus oben bereits genannten Gründen: ohnehin schon Mangel an Grünraum in einem Bezirk. Viele Gartenprojekte haben sich auch in der Nachbarschaft etabliert und ihr Wegfallen kann das soziale Gefüge empfindlich treffen – vor allem da solche Projekte einen integrativen bzw. inklusiven Charakter mit positiven Einfluss auf das interkulturelle Zusammenleben haben können. Gemeinschaftsgärten sind dabei aneigenbare Flächen, das heißt, dass die Bevölkerung bei ihrer Nutzung gestalterisch mitwirken kann, was wiederum in Parks nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Aspekte der Kommunikation und Politik kommen häufig künstlerisch zum Ausdruck,
- Ökologie und Nachhaltigkeit:
Städtisches Grün, und dazu zählen auch Gärten, schaffen beispielsweise mikroklimatische Verbesserungen: je größer und zusammenhängender dieses Grün ist, desto höher ist der Effekt, z.B. Bäume und Sträucher oder begrünte Fassaden kühlen die Stadt weit aus besser als Wiesen – sie haben einen Effekt auf die Temperaturen und Luftfeuchtigkeit und spenden Schatten. Gärten können Lebensraum für viele Lebewesen (Tiere und Pflanzen) sein und schaffen damit wertvolle Biotope – z.B. fühlen sich Bienen in Städten relativ wohl. Ihr Vorhandensein leistet sowohl aus sozialer wie auch aus ökologischer Sicht einen Beitrag zur Nachhaltigkeit.
Literaturtipps:
- Jennifer Cockrall-King: Food and the City – Urban Agriculture and the New Food Revolution. Prometheus Books, New York 2012, ISBN 978-1-61614-459-3.
- Christa Müller (Hrsg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom, München 2011, ISBN 978-3-86581-244-5.
- Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt. Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt Oekom, München 2012, ISBN 978-3-86581-183-7.
- Philipp Stierand: Stadt und Lebensmittel. Die Bedeutung des städtischen Ernährungssystems für die Stadtentwicklung. Dissertation an der TU Dortmund, Dortmund 2008..
- Philipp Stierand: Speiseräume. Die Ernährungswende beginnt in der Stadt. Oekom, München 2014, ISBN 978-3-86581-670-2
- Richard Reynolds: Guerilla Gardening – Ein botanisches Manifest. Mit großem Handbuchteil zu Taktik, Ausrüstung und Wahl der botanischen Waffen. Orange-press, 2009. ISBN 978-3-936086-44-7
- Lorraine Johnson: Cityfarmer – Adventures in Urban Food Growing. Greystone Books, 2011. ISBN 978-1553655190
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